Der Landkreis Rastenburg
Meine Mutter ist 1938 in Berlin, Ortsteil Kreuzberg geboren. Als in den vierziger Jahren die Bombenangriffe auf Berlin losgingen, wurde sie im Rahmen der Kinder-Landverschickung von ihrer leiblichen Mutter getrennt und und nach Ostpreußen in eine Plegefamilie verbracht. Die Familie hieß Härter und bewohnte einen kleinen Bauernhof in Pötschendorf, Kirchspiel Bäslack im Landkreis Rastenburg. Er ist der direkte Nachbarort in nördlicher Richtung des berühmten Wallfahrtortes "Heilige Linde". Der Landkreis Rastenburg bestand von 1818 bis 1945. Wahrzeichen und Namensgeber von Rastenburg selbst ist die Burg. Nördlich von der Stadt selber an der Straße Richtung Angerburg liegt der Görlitzer Forst. In diesem wurde schlimmste Kapitel deutscher Geschichte geschrieben, die es je gegeben hat. Dort befand sich das Führerhauptquuartier "Wolfsschanze", dessen Ruinen man heute noch besichtigen kann. Als ich das Gelände mit den gesprengten Bunkern besichtigt habe, hatte ich innerlich ein schauriges Gefühl in der Bauchgegend.
Aber zurück auf den Bauernhof in Pötschendorf zu der Familie Härter. Pötschendorf bestand hauptsächlich aus Bauernhöfen. Mal größere, mal kleinere. Der größte Hof gehörte einer Familie Merkel. Alfred Merkel war der letzte Bürgermeister von Pötschendorf. Außer den Bauernhöfen gab es eine Schule und einen Bahnhof. Der Bahnhof ist geschlossen und die Gleise schon vor Jahrzehnten abgebaut. Lediglich der weiß überstrichene deutsche Dorfname am Bahnhofsgebäude kommt langsam wieder durch. Auch vor diesem kleinen Ort machte die braune Brut der NS-Diktur nicht halt und so kam es, daß die Familie Härter einen polnischen Fremdarbeiter als Knecht zugewiesen bekam. Das war Paul, von dem meine Mutter immer viel und nur Gutes erzählte. Meine Mutter berichtet durchweg über eine glückliche Kindheit in Ostpreußen, da leider an Berlin die Erinnerungen fehlen. Als es im Reich dem Ende zuging und in Ostpreußen Flüchtlingstrecks die Straßen verstopften verblieb Frau Härter, ihr Mann war im Krieg gefallen, auf dem Hof. Und Paul blieb auch. So wurden 1945 unter dem Russen ganz normal die Felder bestellt und die Ernte eingefahren und eingelagert für den Winter. Im Januar 1946 war es dann doch soweit, meine Mutter und Frau Härter wurden vertrieben. Paul brachte meine Mutter und Frau Härter mit dem Pferdeschlitten nach Rastenburg zum Bahnhof, wo man sich verabschiedete und Paul versprach, auf den Hof aufzupassen, bis die Familie Härter wiederkommen sollte. Paul war mittlerweile mit Olga zusammen. Die war auf einem Nachbarhof als polnische Fremdarbeiterin einquartiert. Beide heirateten später und blieben bis zu ihrem Tode auf dem Hof wohnen.
Hier endet das Kapitel Pötschendorf/Rastenburg endgültig für die Familie Härter. Meine Mutter blieb nach dem Krieg bei Frau Härter, da ihre leibliche Mutter im zerstörten Berlin nicht für die ausreichende Versorgung meiner Mutter aufkommen konnte. So zog meine Mutter mit ihrer Pflegemutter zunächst in ein Seemannsheim in Kalifornien/Schleswig Holstein. Meine Mutter ist die Jüngste von 11 Geschwistern.
Wie es mit Paul, Olga und Pötschendorf weitergeht, können sie meinem ersten Reisebericht entnehmen.
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